Sylwia Kessels

Sylwia Kessels (Cello und Vocal)
Nettetal

„Wir decken auf: Die Geschichte von der Pop und das Opa Popolski ist keine Erfindung. In der Familie der ROR-Cellistin Sylwia Kessels lebt der Mythos“

Aus Böhmen kommt die Musik – blies damals, als die Welt noch schwarz-weiß war, Ernst Mosch die Backen auf. Mag stimmen, wenn es um Blasmusik geht. Der Pop jedenfalls kommt aus Polen, erfunden von Opa Popolski in Zabrze (deutsch Hindenburg O.S.), einer oberschlesischen Großstadt in der Woiwodschaft Schlesien im südlichen Polen. Alles Dichtung, meinen Sie? Alles nur eine musikalische Fernsehnovela aus der Plattenbausiedlung? Das dachte ich auch, bis ich Sylwia Kessels traf. Seither weiß ich, dass der Popolski-Saga im Kern stimmt. Wobei Popolski ein Phantasiename ist. Der richtige Name lautet Damasiewicz. Denn so heißt der Vater von Sylwia: Henryk Damasiewicz. Und deshalb können wir heute die Geschichte erzählen, wie das Popmusik in der Ruhrgebeat kam . . .

NETTETAL Die Niederlande, sagt man, seien ein Vorort des Ruhrgebiets. Und der Niederrhein ebenso. In Nettetal finden wir Sylwia Kessels, die seit der ersten Note beim Rockorchester Ruhrgebeat das Cello streicht. Gut 15 Jahre wohnt sie nun „tief im Westen“ und ja, sie hat aus Ostró´w den Rock mitgebracht. Aus der Popolski-family, die doch eigentlich Damasiewicz heißt. „Mein Papa Henryk war in Breslau ein Begriff“, erzählt Sylwia. Denn er hatte zwar eine klassische Musikausbildung, aber in der Tiefe seiner Seele war er Rocker und war Musiker und Mentor mehrerer Rockgruppen in Schlesien. Der 1943 geborene Henryk Damasiewicz spielte Saxophon, Klarinette, Klavier und Orgel „und er war einer der ersten Rockmusiker in Polen, die Westkontakt hatten.“ Das war in den 70-er Jahren und wer die Geschichte kennt, der weiß, welche schwere Zeit das kommunistische Polen damals durchmachte. Henryk durfte – damals eine Seltenheit – reisen, durfte im Dienste der Musik in den Westen fahren und hatte sogar seine Tochter Sylwia dabei. Papa Henryk, der Rock und Pop in den Westen gebracht hatte, verstarb 1981 in Polen – nicht ohne sein musikalisches Tausendsassatalent an seine vier Kinder weitergegeben zu haben. Immerhin zwei davon wurden Musiker. Das innere Geheimnis der Familie Popolski-Damasiewicz eben . . .

beim ror
Sylwia Kessels (Mitte) voll im Element – natürlich beim Rockorchester Ruhrgebeat.
Sie beatet und tanzt (als Cellistin!!!), was das Zeug hält
© Foto: Gerhard Rokita

Aus dem vierblättrigen Kleeblatt der Damasiewicz-Kinder wurde jedenfalls was. Artur wurde Schiffsoffizier und fuhr (u.a.) auf der MS Berlin als Navigationsoffizier. Anita hat sich der Kunstmalerei verschrieben und lebt heute in Irland. Piotr (Peter), Sylwias jüngerer Bruder, wurde Jazzmusiker. Legendär ist inzwischen das Jazz-Festival in Breslau, bei dem Piotr den Bogen zwischen Klassik und Jazz schlägt und bei dem auch Sylwia mit einem kleinen Streicherensemble mitwirkt. Als Papa Henryk starb, hatte er seiner Tochter zwar die Musik ins Herz gelegt, doch an eine Ausbildung war nicht zu denken gewesen. Das besorgte nun Mutter Damasiewicz. „Sie stand dahinter, dass wir Kinder übten und in die Musikschule gingen!“ Es waren (wir im Westen erinnern uns gut daran) die 80-er Jahre, und diese waren in Polen von wirtschaftlich schwierigsten Zuständen und vom Kriegsrecht geprägt. In diesen Zeiten sich der Kunst hinzugeben? Mutter Damasiewicz fand das richtig und organisierte für ihre Tochter Sylwia ein Klavier. Denn wenn Sylwia auf die höhere Schule mit der Ausrichtung auf Musik gehen würde, müsste sie üben können! „Meine Mutter hatte von einem Rotarmisten ein Klavier gekauft – keiner weiß, wie das damals ging. Jedenfalls fuhr bei uns mitten in der Zeit des Kriegsrechts ein Laster der Roten Armee vor. Alle in der Straße zuckten zusammen und fürchteten das Schlimmste. Dann luden die Soldaten das Klavier ab und trugen es zu uns in die Wohnung!“

sexy
Ja, ein Cello ist sexy.
Wer das bestreitet, hat die Special-Session mit Sylwia Kessels nicht gesehen!
Foto privat

Sylwia: Die mit den Cellohänden

Ein Klavier also. Doch Sylwia wollte keinen Klimperkasten. „Ich wollte Harfe spielen und habe in der Schule gesagt, die Harfe klänge wie die Schwäne auf dem See.“ Süße Poesie – doch die Harfe blieb ein Traum, während das Klavier der Roten Armee Fakt war. Und so übte und spielte Sylwia Klavier . . . Sechs lange Jahre lang, von der ersten bis zur sechsten Klasse: Klavier, immer Klavier. Sylwia war zwölf Jahre, als in der Schule „gesichtet“ wurde. „Ein Lehrer sah meine Hände. >Du wirst keine Pianistin<, sagte er mir auf den Kopf zu. >Du spielst Cello!<“ Denn Sylwia hatte – und hat – Cellohände.

Sylwia Kessels Geb. 03.02.1974 in Breslau
Musik. Ausbildung:
1981 – 1993: Klavier bei Prof. Piontek
Cello bei Prof. Tatarczyk Gesangsausbildung bei Prof. Jagoda
1993: Staatliche Musikreifeprüfung mit Fachdiplom Cello, Klavier und Gesang. 1994: Konzertreisen nach Finnland und Irland
1995: Studioaufnahmen mit dem Ensemble Nurth
Seit 1996 wohnhaft in Deutschland.
1996 bis 2003: Mitglied beim Kammerorchester von Prof. Georg Hamza und beim Rockorchester Ruhrgebeat (auch weiter)
Seit 2004: Cellistin des Nettetaler Kammerensembles.

„ROR“ und der echte Popolski Investigative Recherche des Pop-Reporters fördert die Wahrheit zu Tage Im Familienalbum von Sylwia Kessels, der Cellistin des Rockorchesters Ruhrgebeat, fand der POP-Reporter der Heimatzeitung die echte Geschichte der Popolskis. “

henryk Mein Papa Henryk war in Breslau ein Begriff“, erzählt uns Sylwia. Henryk Damasiewicz hatte zwar eine klassische Musikausbildung, aber in der Tiefe seiner Seele war er Rocker und war Musiker und Mentor mehrerer Rockgruppen in Schlesien. Der 1943 geborene Musiker spielte Saxophon, Klarinette, Klavier und Orgel „und er war einer der ersten Rockmusiker in Polen, die Westkontakt hatten.“
Die Fotos zeigen Henryk mit seiner Band (oben) und rechts als Solist am Baritonsax. Im Polen der 70-er Jahre hatten es Musiker wirklich nicht leicht, doch Henryk Damasiewicz brachte nicht nur seine Familie unbeschadet durch diese Zeit, sondern machte sich auch einen Namen weit über Breslau hinaus. Die Musikalität legte er seinen vier Kindern in die Wiege – zwei von ihnen schlugen die Musikerlaufbahn ein. Piotr wurde Jazzmusiker, Sylwia Cellistin. Wobei: Klavier kann sie auch und singen ebenso – als „Nebenbei“ – Rockröhre machte sie beim Rockorchester Furore. Repros: as papa

 

Die schlesische Bonnie Tyler

Das hat sie nicht davon abgehalten, später gegen den Strich zu bürsten: Denn die Cellistin wollte singen, sah hoffnungsfroh einer Karriere als Operndiva entgegen – bis zur nächsten Sichtung in der Schule. „Da stellte sich heraus, dass irgendwas mit der Stimme nicht in Ordnung war. Der HNO-Arzt stellte fest, dass von einer Halsinfektion eine bleibende Erinnerung übriggeblieben war. Reibeisenstimme statt Koloratursopran. Sylwia – die schlesische Bonnie Tyler . . . „Rock ja, Oper nein“ – das war die Quintessenz. Und Sylwia röhrte. Fotos aus den 90-er Jahren zeigen sie mit der Rockgruppe „Nurth“. Die langen, roten Haare waren ihr Erkennungsmerkmal. Bis es wieder einen Wendepunkt in ihrem Leben gab. Von ihrem bereits im Westen lebenden Bruder zu einer Silvesterparty eingeladen, lernte sie Dieter Kessels, den Mann fürs Leben, kennen. Die Liebe hält seit 15 Jahren und ließ Sylwia 1996 in den Westen übersiedeln. Und wie es so ist: Landsleute halten zusammen. Sie bekam Kontakt zu Geiger Darius Krzyszton. Der wusste, dass beim Rockorchester Ruhrgebeat eine Cellistin gesucht wurde. Darius wusste auch, dass das Kammerorchester von Prof. Georg Hamza eine Vakanz am Cello hatte. Zweimal gesucht – zweimal gefunden: Jetzt ist das Cello für Sylwia Kessels doch noch die Erfüllung geworden.
solo
Wow, was für eine Frau! Die heutige Sylwia Kessels als Rocklady
in Breslau als Leadwoman der Gruppe Nurth
war ein Hingucker und eine rockmusikalische Offenbarung.
Nichts, gar nichts hat sich daran geändert. Repro: St. Aschauer-Hundt

Sie spielt im Rockorchester und im Nettetaler Kammerensemble, ist Musiklehrerin an der Musikschule „Flotte Finger“ in St. Tönis und ist selbst Schülerin von Dozent und Cellokapazität Frans Hamelers. „Den Spaß mit dem Cello habe ich bei Frans gelernt“, sagt Sylwia – und schiebt nach, dass sie jetzt auch wieder singt. Als Rockröhre. Mit den Dozenten der Musikschule. Und selten, ja wirklich selten, bei einer Probe des Rockorchesters Ruhrgebeat. Wenn sie ganz guter Laune ist, macht sie eine Fotosession. Mit dem Cello, mit etwas Lack und Rüschen. Und mit ganz viel Sylwia. „Cello ist sexy“, maunzt sie vielsagend. Weswegen die „Cellofotos“ demnächst in einer Szenekneipe in Breslau ausgestellt werden. Denn mag auch der Pop aus Polen ins Ruhrgebeat gekommen sein – die Bilder aus der „Luft anhalten“-Reihe nehmen den umgekehrten Weg. Teufelsweib!

kammerensemble
Die zwei (oder mehr) Gesichter der Sylwia Kessels – auf dem Cello und als Rockröhre
Oben das „Suchbild mit Dame“ und richtig: Sylwia Kessels ist die Frau mit dem Cello.
Das Foto zeigt das Nettetaler Kammerensemble, in dem Sylwia spielt.
Das Kammerensemble ist ihre zweite großer Leidenschaft neben dem Rockorchester Ruhrgebeat.

mit band

Apropos Rock: Hier zeigen wir ein Erinnerungsbild aus den 90-er Jahren. Sylwia Kessels war als Rockröhre mit der polnischen Formation Nurth unterwegs. Wen wunderts, dass sich die Musikerin auch heute noch gerne mal ans Mikro stellt oder mit dem Rockorchester abgrooved? Sylwia beweist dann, dass ein Cello ein Instrument mit Temperament und Sexappeal ist. Repro: St. Aschauer-Hundt

Info-Telegramme Skandalski!

So gut wie alle Top-Hits der letzten Jahrzehnte sind von der Westen geklaut! Was ist der Popolski-Show? Antwort: Eine begnadete musikalische TV- und Internet-Comedy, die für den Grimme-Preis vorgeschlagen ist. Dabei: Völlig ohne Hintergrund ist die Geschichte nicht. Wir decken nach investigativer Recherchen auf, dass des „der Popolski“ wirklich gibt. „Vor hundert Jahren, am 22. März 1908, erfand Opa Popolski die Popmusik, nachdem er beim Pfarrfest von Pyskowicenach 22 Gläser Vodka auf das Wohl der Jungfrau Maria getrunken hatte. Er schrieb den Song, der bis heute als die Mutter aller Popsongs gilt: „Ei dobrze, dobrze dralla!“ Zunächst nannte er seine Erfindung „Popolskimusik“, entschied sich dann aber, diesen kürzer und griffiger in „Popmusik“ zu ändern.

Im Laufe seines langen Lebens komponierte Opa Popolski über 128 000 Top-Ten-Hits. Doch eines Tages nämlich hörte der windige Gebrauchtwagenhändler Olek Priszewinski, der gerade einen liegengebliebenen alten „Polski-Fiat“ abschleppte, zufällig einige Melodien, die aus dem Schuppen nach draußen klangen. Obwohl musikalisch völlig ungebildet, erkannte er sofort das Potential der Band und beschloss die Gunst der Stunde zu nutzen. Bei Wodka und Gurken versprach er den Popolskis eine goldene Zukunft im Westen und bot sich an die richtigen Kontakte zu knüpfen. Er überredete die gutgläubigen Brüder, ihm die Rechte an ihren Werken zu übertragen, ließ ihnen den alten Polski-Fiat als Anzahlung zurück und verschwand mit zwei Koffern und sämtlichen Aufnahmen der Band auf Nimmerwiedersehen. Seit jener Zeit stürmen die Werke der Popolskis alle Hitparaden dieser Welt, ohne dass die eigentlichen Schöpfer auch nur einen Cent an Tantiemen zu sehen bekommen.

Doch damit nicht genug. Viel schwerer noch wiegt die Tatsache, dass sie tatenlos mit ansehen müssen, wie ihre filigranen Meisterwerke nach Strich und Faden verhunzt werden. Doch damit ist jetzt Schluss. In ihrer eigenen Fernsehshow spielen die Brüder ihre größten Hits und erzählen ihre unglaubliche Geschichte: vom Opa und der Familie, von gestohlenen Triumphen, historischen Momenten und der polnischen Lebensfreude.
the pops

Das sind die Popolskis als Fernseh- und Internet-Erfindung.
Sie senden aus der Plattenbausiedlung in Zabrze.
Nun hat der ST-Reporter das heimliche Vorbild gefunden
– den Papa von Rockorchester-Ruhrgebeat-Cellistin Sylwia, Henryk Damasiewicz.
© Foto: www.thepops.de

 

Text:Stefan Aschauer-Hundt